die Seite 0531: Der Pferdemarkt und die Scham einiger Weniger.

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„Ein Parkplatz. Einfach nur ein Parkplatz …“

Zugegeben: Steht man heute an einem Wochentag auf dem Platz, so kommt der Pferdemarkt sehr unscheinbar daher. Schwer vorstellbar, dass hier bis zum Jahr 1962 der Kramermarkt stattgefunden, dass Paul von Hindenburg hier einmal Militärparaden abgenommen hat …
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„Willy Brandt hier auf dem Pferdemarkt?“

… und dass der damalige regierende Bürgermeister von Berlin genau hier einmal mitten in der Krise um den Bau der Mauer eine Wahlkampfrede gehalten hat (die Geschichte dieses Besuches findet man hier). Zwei Jahrzehnte zuvor waren an gleicher Stelle noch die Hakenkreuzfahnen über den Platz getragen worden …

„Wirklichkeit braucht immer Namen. Ich würde sagen:
In den 30er und 40er Jahren hieß diese Fläche ‚Platz der SA‘.“

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Je länger man allerdings dem Hörgang über den Pferdemarkt folgt, dem Hörspiel vor Ort lauscht, desto klarer und detaillierter wird eine ganz bestimmte Erinnerung der Hauptfigur. Immer deutlicher nähert man sich einem ganz bestimmten Ereignis, einem ganz konkreten Punkt:

„Vor mir treten jetzt zwei Zuschauer zur Seite und für einen kurzen Augenblick sehe ich die Bühne, die dort drüben aufgebaut ist.“

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Knapp zwei Jahre vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten trat am 10. Mai 1931 an diesem Ort Adolf Hitler bei einer Wahlkampf-Kundgebung auf. In der Mitte auf dem obigen Bild ist außerdem der damalige Gauleiter Carl Röver zu sehen, der bereits ein Jahr später oldenburgischer Ministerpräsident werden sollte. Rechts im Hintergrund und „wie ein Besessener ‚Heil!‘ schreiend“: Rudolf Heß.
Dieser Auftritt Hitlers ist für Oldenburg so etwas wie ein dunkler Startpunkt. Neben den Wahlerfolgen in den kommenden Jahren folgten dieser Veranstaltung auch die zahllosen Verbrechen der Nationalsozialisten.
Erstaunlicherweise steht Hitler oben auf dem Bild genau vor dem Ort, an dem einige Jahre später eine der zynischsten Aktionen des Regimes startete: der sogenannte „Oldenburger Judengang“. Eines der erhaltenen Bilder vom 10. November 1938 zeigt, wie die Oldenburger Juden durch die Stadt zum Gefängnis geführt werden.

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 „Ich hätte vielleicht von einer Verabredung mit einer Freundin gesprochen,
hier auf dem Pferdemarkt. […] meine Schulfreundin Hannelore. Hannelore Josephs.“

Bei den Recherchen zu den Hörgängen bekam der Mann oben in der Mitte des Bildes (mit dem hellen Mantel) plötzlich einen Namen: Es handelt sich um den Oldenburger Kaufmann und Viehhändler Siegfried Josephs (geb. 1885 in Jever):

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Diese Familie aus Oldenburg, die Geschichte von Siegfried, Lisbeth, Klaus und Hannelore Josephs, macht die ganze Grausamkeit und Dramatik der damaligen Ereignisse immer noch deutlich spürbar. Der Ort, an dem dies auch heute noch sehr direkt zutage tritt, ist der Pferdemarkt.

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Weiterführende Links und Literatur.

Es gibt eine Internetseite mit Materialien zum sogenannten „Oldenburger Judengang“ und der jährlich stattfindenden Gedenkveranstaltung, dem „Erinnerungsgang“: www.erinnerungsgang.de

Außerdem findet man die ausführlichen Beschreibungen und Hintergründe zu den damaligen Ereignissen in Oldenburg in den folgenden Büchern (alle ausleihbar in der Stadtbibliothek oder der Landesbibliothek Oldenburg):

Dieter Goertz: „Juden in Oldenburg 1930-1938.“
Heinz Holzberg Verlag, Oldenburg 1988.

Jörg Paulsen: „Erinnerungsbuch – Ein Verzeichnis der von der nationalsozialistischen Judenverfolgung betroffenen Einwohner der Stadt Oldenburg 1933-1945.“
Edition Temmen, 2001

Dr. Enno Meyer: „Die Reichskristallnacht in Oldenburg.“
Heinz Holzberg Verlag, Oldenburg 1979.

Karl-Ludwig Sommer: „Oldenburgs ‚braune‘ Jahre (1932-1945).
in: Stadt Oldenburg (Hrsg.): „Geschichte der Stadt Oldenburg 1830-1995
Isensee Verlag, Oldenburg 1996, hier besonders Seite 442-449.

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Jede Menge interessanter Geschichten und Beobachtungen aus dem Oldenburger Alltag der Jahre 1900 bis 1960 findet man außerdem hier:

Dagmar Niemann-Witter (Hg.): „Also Langeweile gab es nicht – Kindheit und Jugend in Oldenburg 1900-1950“
Isensee-Verlag Oldenburg, 1992

Dagmar Niemann-Witter, Udo Elerd (Hg.): „Wenn das man gutgeht! – Oldenburg in den Jahren 1930-1960“
Isensee-Verlag Oldenburg, 1995

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